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Märchen meines Großvaters

Die Bienenarmee

Es war schon spät abends, als Opa mit dem Schlaf kämpfte. Und obwohl er die ganze Zeit gähnte und die Augen ihm schon zufielen, erzählte er mir trotzdem noch ein neues Märchen.

Einstmals gab es in einem kleinen Königreich einen Jungen namens Peter. Wie alle Kinder in seinem Alter mochte er Süßigkeiten. Aber am meisten mochte er Konfitüre und den süßen Schaum von ihr. Und weil er die so mochte, hieß er von da an Peter mit dem süßen Schaum.

Vielleicht verfolgte ihn der große Bienenschwarm gerade deshalb überall hin. Zuerst verscheuchte er die aufdringlichen und summenden Freunde, aber mit der Zeit gewöhnte er sich so an sie, dass er sich gar nicht bemerkte.

So verging ein Jahr ums andere.

Irgendwann einmal, es passierte in dem Jahr, als nach dem Winter, wie sonst normalerweise, aus irgendeinem Grunde der Frühling nicht kam. Es wurde bereits Mai und doch lag auf den Feldern immer noch Schnee. Die Blumen blühten nicht und den Bienen wäre es schlecht ergangen, wenn Peter sie nicht gefüttert hätte. Nur dank seiner Fürsorge überlebte die große Bienenfamilie. Für deren Rettung wollte sich die Bienenkönigin nun bei Peter bedanken. Im Vertrauen nannte sie ihm die Zauberworte, damit er allen Bienen befehlen konnte. Nur machte er von dieser Macht niemals Gebrauch und lebte sein Leben weiter wie bisher.

Unerwartet wurde Peters König, Siegmund der Achte, vom Feind überfallen. Gerade erst war die Kunde von der zahllosen Streitkraft des Widersachers herumgegangen, als alle Höflinge von dem jungen König flohen, der erst vor kurzer Zeit auf den Thron gefolgt war.

Niemand wollte mit ihm in den Krieg ziehen.

Der König zog sich die Rüstung an, nahm ein altes Schwert und setzte sich auf sein Pferd. Schwere Gedanken bedrückten ihn, als er zum Schlachtfeld ritt und ihm Peter mit dem süßen Schaum über den Weg lief. An diesem heißen Tag bot er ihm eine Tasse eiskalten Wassers an und fütterte dessen Pferd. Großzügig vergalt’s ihm der König und wollte weiterziehen auf seinem Wege. Aber Peter stellte sich ihm in den Weg, sagte zu ihm: „Selbst der mutigste König ist allein im Felde machtlos.“ und bat, ihn zu seinem treuen Waffenträger zu machen. Da wunderte sich der König ob der edlen Rede dieses einfachen Mannes, aber lehnte dessen Dienste ab, denn er wollte Peter nicht in den sicheren Tod schicken. Er umarmte ihn bloß zum Abschied und dankte ihm von ganzem Herzen. „Ihr bereuet’s nicht, Eure Majestät, wenn Ihr mich mit Euch nehmt.“ So sprach Peter wiederum zum jungen König. „Gemeinsam können wir jeden Feind schlagen.“ Nun sprang Siegmund von seinem Pferd, zog sein Schwert, schlug Peter dreimal auf die Schultern und ernannte ihn zum Ritter.

Am nächsten Tag liefen sie zur Grenze des Königreiches und warteten auf den Feind. Schon nach einer Stunde zeigte sich am Horizont eine Staubwolke, die mit jeder Minute größer und höher wurde. Hundert Regimenter bauten sich vor Peter und seinem König auf. Nachdem er sich mit dem König beraten hatte, bot Ritter Peter mit dem süßen Schaum dem Feind eine ehrenhafte Gefangenschaft an. Aber der Feind hatte nicht vor, die Waffen zu strecken und lachte Peter nur aus.

Unter Trommelwirbel gingen die feindlichen Regimenter zur Attacke über und der furchtlose junge König trat ihnen entgegen. Nur hielt Peter ihn rechtzeitig an und bat, sein Leben nicht zu riskieren, sondern nur seine treuen Truppen zu befehligen. „Gegen die Artillerie des Feindes muss man seine Geschütze aufstellen“, sprach Ritter Peter. „Haben wir denn etwa Geschütze?“, fragte ihn der bestürzte König. „Wir haben alles, Eure Majestät: Hummeln werden unsere Geschütze sein, Wespen unsere Ritter und Bienen die Infanterie. Der König kam gar nicht dazu, dem treuen Ritter etwas zu entgegnen, als Peter die Zauberworte aussprach: „Auf Befehl der Königin: Wespen, Hornissen, Hummeln. Fliegt zu mir zu dienen, um Gutes mit Gutem zu vergelten.“ Und hier passierte nun das Wunder. Von allen Ecken der Erde kam eine Bienenarmee angeflogen und schlug den Feind in einem Moment in die Flucht.

Von da an ging das Gefecht in alle Geschichtsbücher als „summender“ Krieg ein, in dem niemand getötet oder verletzt wurde, sondern nur von Insekten gestochen. Nicht anders als sei der summende Krieg seit langem in einen „schnarchenden“ übergegangen. „Das geschah dem Feind ganz recht“, sagte Opa müde und schnarchte alsbald tief neben mir.

Aber ich weckte Opa nicht, denn ich hatte ihn sehr gern.

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