Eines Tages kam ein ruhmreicher Ritter mit dem Namen „Mutiges Herz“ mit seinem treuen Knappen von seinen Reisen über die Meere zurück. Er war auf vielen Schlachtfeldern gewesen, hatte Hunderte von Rittern gefangen genommen und Tausende von Feinden geschlagen. Er war der beste Krieger auf der Welt. Die festlich herausgeputzte Hauptstadt erwartete ihren legendären Helden und hatte alles für sein Kommen vorbereitet. In der Ferne waren schon die Mauern der Stadt zu sehen, da wollte der Ritter sich ein wenig erholen, da er von dem weiten Weg sehr müde war. Er ließ seinen Knappen wachen, legte sich unter einen großen Baum und schlief gleich ein. Zu allem Unglück schlichen sich Räuber an den schlafenden Ritter heran. Sie schlugen ihn, raubten ihn aus und ließen ihn alleine verbluten. So hätte er sein Ende gefunden, wären da nicht gute Menschen gewesen, die ihn gesund pflegten. Sie hatten gar nicht erst gefragt, wer er sei und wo er herkäme. Der Ritter wurde also wieder stark und war voll neuen Mutes. Nach diesem Ereignis suchte sein furchtloses Herz jetzt aber besonders Barmherzigkeit und Güte. Drei Monate waren vergangen. Die Suche nach dem verschwundenen Ritter war erfolglos geblieben. Man hatte ihn nicht erkannt, da er statt auf dem Pferd durch das Haupttor in die Stadt hineinzureiten, nun in einem Mönchsgewand, mit einem Stab in der Hand und zu Fuß daherkam. So lebte der Ritter „Mutiges Herz“ unerkannt. Er diente bei einer kleinen Kirche und half Armen und Waisen. Er legte ein Gelübde ab, nie mehr eine Waffe in die Hand zu nehmen. Das Leben ging seinen Gang, bis einmal ein Feind die Hauptstadt belagerte. Der Feind hatte also entschieden, die Bewohner auszuhungern. Die armen Menschen hatten nichts zu essen. Man wusste nicht, wie lange sie noch aushielten konnten. Da nahm der Mönch seinen Stab in die Hand und ging zum Haupttor. Als die Wächter erfuhren, dass der Mönch kam, um mit dem Feind Mann gegen Mann zu kämpfen, jagten sie ihn fort. Der Mönch kam aber am zweiten und dritten Tag wieder. Am vierten Tag wurde das Tor für ihn aufgemacht. Alle Bewohner strömten zu den Stadtmauern, um den verwegenen Mutigen zu sehen. Keinem außer dem treuen Knappen kam in den Sinn, wer da sein Leben für seins Stadt riskierte. Der Feind rang den Kühnen nieder und fing an, sich über ihn lustig zu machen. Dann ging das Tor noch einmal auf. Ein Fuhrwerk rollte hinaus: Der Knappe beeilte sich, seinem Herrn zu helfen. Er kam zu dem Mönch, warf sich zu seinen Füßen und sprach ihn mit seinem alten Namen an. Der Feind glaubte dem Knappen nicht. Dann fing der letztere an, Schild und Rüstung der besiegten Ritter vom Fuhrwerk auf den Boden zu werfen, um Mut und Ruhm seines Herrn zu bezeugen. Der Feind zuckte vor dem Mönchen zurück und wollte nicht glauben, dass der unbesiegbare Krieger vor ihm steht. „Ja, ich bin der Ritter Mutiges Herz“, sagte der Mönch, „und wer es nicht glaubt, kann sich beritten oder ohne Pferd, mit Schwert oder ohne mit mir duellieren.“ Niemand aber nahm die Herausforderung des Ritters an. So blieb die Zehntausende zählende feindliche Armee vor dem Mönchen und seinem Knappen stehen. Der Ritter trat vor, steckte seinen Stab in die Erde und sagte weiter: „Ihr werdet euch rühmen und mich zum Sklaven nehmen können, wenn ihr es schafft, meinen Stab bis morgen aus der Erde zu ziehen. Wenn aber nicht, dann werdet ihr unser Land für immer verlassen müssen.“ Der Feind überlegte und entschied sich, die Bedingungen anzunehmen. Nachdem sich das Haupttor aber hinter ihm schloss, fing es an, stark zu regnen. Der Regen hörte erst früh am nächsten Morgen auf. Dann breitete sich undurchdringlicher Nebel aus. Als sich der Nebel verzog, fand die Armee statt des Stabes einen riesigen Baum mit einem Stamm vor, den sechs Mann umfassen können. Ohne weiter zu überlegen, zog sich der Feind erst von der Hauptstadt und dann auch aus dem Land zurück. Er stellte sich vor, wie mächtig das Schwert des Ritters gewesen wäre, wenn sich nur ein trockener Stock in solch eine Kraft verwandelt hätte. Von da ab hieß der Held „Ritter der Barmherzigkeit“. Der Mönch bat aber, ihn einen „gottergebenen Bruder“ zu nennen.
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