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Märchen meines Großvaters

Die alte Fregatte

In einem entfernten Hafen lag einst ein Holzschiff. Die anderen alten Schiffe waren schon längst ausgemustert und höchstwahrscheinlich abgebrannt.

Es verblieb nur eines: eine alte Fregatte, das ehemalige Flaggschiff. Einstmals war sie Pracht und Stolz der Marine. Auf ihren drei Masten wallten weiße Segel und fingen den günstigen Wind ein. Ihre zwei Geschützdecke dienten als bedrohliche Warnung für Piraten.

Seitdem war aber schon viel Wasser verflossen. An die Stelle von Holzschiffen traten moderne Metallschiffe, die schneller, stärker und stabiler waren. Die See schlug leicht gegen den rechten Bord der alten Fregatte, als riefe sie diese, ihre Fesseln zu sprengen und zum offenen Meer auszulaufen, wo immer sieben Fuß unter dem Kiel sind. „Der Furchtlose“, so hieß das Schiff, sah mit offener Bewunderung auf das in den Hafen einlaufende Panzerschiffgeschwader. Die alte Fregatte stand stramm und salutierte, als die Schiffe der neuen Generation vorüber zogen. Sie achteten aber gar nicht auf das Segelschiff. „Der Furchtlose“ stöhnte und sein Seufzer echote durch das leere Schiff und den ehemals lärmenden und belebten Mannschaftsraum. „Die Zeiten sind vorbei“, dachte die Fregatte und schlief fest ein. Der Morgennebel lagerte schon über dem Meeresspiegel, als auf einem Panzerschiff die Glocke läutete. Von diesem Klang erwachte die Fregatte und dachte, dass sie sich bei einem Seegefecht an der vordersten Feuerlinie befände. Der Pulverdampf trübte den Blick, „Der Furchtlose“ wusste aber auch ohne Befehl, was zu tun ist. Das Segelschiff riss sich los und zerriss leicht die eiserne Ankerkette. Es erreichte schnell eine hohe Geschwindigkeit und führte die unbesiegbare Flotte hinter sich. Mit diesem Manöver wollte die Fregatte das feindliche Geschwader betrügen und seiner Flotte Zeit geben ungehindert abzufahren und dann neu gestärkt wiederzukommen, um zu gewinnen. Von allen Seiten umringt, trat das Segelschiff in seinen letzten Kampf. Es näherte sich dem Flaggschiff des Gegners und feuerte von zwei Decken gleichzeitig los. Das Feindschiff wankte und ging unter. Die Fregatte blieb aber auch nicht unversehrt. Sie schöpfte schon mit dem Kiel das Wasser, als der letzte Befehl gegeben wurde: „Das Schiff verlassen!“ Aber sogar die Rettungsboote folgten dem Befehl nicht. Die alte Fregatte fand also am Meeresboden sein Ende. Wie alle echten Schiffe. Die erstaunten Panzerschiffe schauten vom Hafen her auf die untersinkende alte Fregatte und salutierten. Aus den Metallrohren stieg schwarzer Rauch, der sich zum Horizont ausbreitete, um sich in dem blauen Himmel zu verziehen.

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