In einem großen Haus fing einmal der Kamin an zu rauchen. Anscheinend war der Rauchfang verunreinigt und man musste ihn dringend vor der Ankunft der vornehmen Herrschaften durchputzen. Der Hausverwalter begrüßte trocken einen jungen, mit schwarzem Rock und einem Zylinder bekleideten Mann. Hinter seinem Rücken war ein langes Seil mit einer Rohrbürste und einer schweren Metallkugel zu sehen. Der Schornsteinfeger sah sich erst einmal den Kamin an und dann stieg er auf den Dachboden, um das Rauchfangmauerwerk nachzuprüfen. Danach stieg er auf das Ziegeldach. Er nahm den Kupferdeckel vom Schornstein ab und blickte furchtlos in ihn hinein. Den Schornsteinfeger hätte es gar nicht gewundert, wenn ein Vogel herausgeflattert wäre oder sich eine Menge Spinnen auf ihn gestürzt hätte. Der Schornstein war jedoch überraschend leer. Der junge Mann stieg also wieder herunter vom Dach. In dem großen Haus war es sehr still. Er blickte noch einmal von unten in den Schornstein hinein. Doch nur blauer Himmel war zu sehen. Dann wollte der Schornsteinfeger anfeuern. Das Holz brannte aber nicht, sondern rauchte nur beißend. Plötzlich nieste jemand laut und fiel aus dem Schornstein hernieder. Als sich der Rauch gelegt hatte, sah der Schornsteinfeger plötzlich ein Mädchen neben sich. “Wer bist du?“, fragte er erstaunt. „Ich bin ein Sternchen“, sagte das Mädchen stolz. „Wer bist du?“, glaubte er, nicht richtig gehört zu haben. „Ein Sternchen. Ein ganz einfaches junges Sternchen. Ich bin nur dreihunderttausend Jahre alt.“ „Nein so was!“, sagte der Schornsteinfeger, „und wie bist du denn in den Kamin geraten?“ „In den Kamin? Ach, Sie meinen dieses Fernrohr? Ich habe mit meinen Schwestern getanzt und bin dann über das große Feuer gesprungen. Wahrscheinlich habe ich zu sehr ins Feuer geschaut. Und das hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht … und so bin ich in den Kamin geraten.“ Der junge Mann glaubte dieser unerwarteten und schmutzigen Erscheinung kein Wort. Er hielt sie für ein Dienstmädchen, das unlängst als Beikoch diente und jetzt groß tat. „Nimm mal!“ Der junge Mann reichte dem rußschwarzen Mädchen sein sauberes Handtuch, „hättest du dich nur mal im Spiegel angesehen!“ „Ich habe mich wirklich beschmutzt“, sagte das Mädchen mit einem schelmischen Lachen, „gib mir mal bitte das Wasser, damit ich mein Gesicht waschen kann!“ In ein paar Minuten wurde das Wasser im tönernen Krug schwarz und die kalte graue Halle blitzte wie der Himmel bei sternheller Nacht auf. „Du bist ja tatsächlich ein Stern-chen, das vom Himmel auf die Erde gefallen ist!“, starrte der Junge die himmlische Schönheit mit verliebten Augen an. „Wie - auf die Erde? Ich bin doch in den Kamin gefallen.“ „Der Kamin ist auch ein Teil von unserer Erde … Das ist aber nicht so wichtig. Auf der Erde sind vor allem die Menschen wichtig. Willst du die Menschen sehen?“ „Sind sie etwa nicht so wie du?“ „Sie sind vielleicht noch besser.“ „Dann möchte ich sie sehen“, sagte das junge Sternchen und sie gingen zu zweit raus. Das Sternchen fand die Menschen nett und freundlich, aber ein wenig sonderbar. Sie baten den Schornsteinfeger um etwas Gutes, was er unbedingt für sie machen sollte. Und einige Menschen hatten sogar zur Erinnerung seine glänzenden Kupferknöpfe abgerissen. Am Ende des Spaziergangs war nur noch ein Knopf an seinem Rock. Vielleicht waren seine Augen deshalb so traurig und das selbst dann, wenn er den Passanten zulächelte. Am Abend brachte der Schornsteinfeger das Sternchen zu sich nach Hause und machte es mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester bekannt. Lange saßen sie auf der Terrasse, tranken Tee und unterhielten sich. Die Nacht brach herein und damit wurde es Zeit, sich zu verabschieden. „Wie kommst du denn wieder in den Himmel?“, fragte der Schornsteinfeger traurig. „Ich kenne einen Zauberspruch. Und jetzt muss ich weg.“ Der junge Mann hielt bebend das Sternchen bei den Händen und wiederholte den Zauberspruch: „Flieg, Sternchen, flieg hoch! Flieg zum Himmel und schenke allen helles Licht!“ Das Sternchen war schon dabei aufzu-fliegen, als sich der Schornsteinfeger an seinen letzten Knopf erinnerte. Er riss ihn ab und legte ihn in die Hand des himmlischen Mädchens. Zur Erinnerung an das Treffen sozusagen. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Der Schornsteinfeger ist inzwischen alt geworden. Sein Sternchen sucht er aber nach wie vor am nächtlichen Himmel. Und sogar am Tage blickt er in Schornsteine wie in Fernrohre hinein.
Copyright by Dramaturgiewerkstatt Sergej Ianachi