HomeMärchenDie Tränen Gottes

Märchen meines Großvaters

Die Tränen Gottes

„Weißt du, was Sterne sind?“, fragte mich einmal mein Großvater. „Ja, selbstverständlich“, sagte ich stolz, „das sind ...“ „Hör mal!“, unterbrach mich der Großvater, „und warte mit deiner Antwort ab, mein kluger Enkel. Es ist nicht alles so einfach, wie du denkst. Sterne sind ja in Wirklichkeit Gottes Tränen.“ „Dann ist Er eine richtige Heulliese“, lächelte ich boshaft. „Nein, mein Lieber. Er ist nicht imstande, sein Herzeleid zu verstecken, wenn Menschen ungerecht miteinander sind. Deswegen gibt es so viele Sterne.“ Der Großvater deckte mich mit der Decke zu, küsste mich und wünschte mir eine gute Nacht. Er wollte schon die Tür hinter sich schließen, als ich zu ihm sagte: „Weißt du was? Ich mache das nicht mehr...“ „Was machst du nicht mehr?“ fragte mein Großvater, der gute Märchenerzähler. „Ich werde Gott nicht mehr ärgern. Dich übrigens auch nicht“, sagte ich. „Dann lass uns dabei bleiben“, seufzte mein Großvater, der heute von mir genug abbekommen hatte, „und schlafe nun und träume etwas Schönes! Möge es auf der Welt eine Träne weniger geben.“

zurück

Copyright by Dramaturgiewerkstatt Sergej Ianachi