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Märchen meines Großvaters

Die Zauberflöte

Es war einmal ein Hirt, der es sehr mochte, auf seiner Flöte zu spielen. Am Morgen trieb er seine Herde auf die Wiese und am Abend zurück ins Dorf. Eines Tages an einem heißen Mittag schlief er tief und fest ein und als er kurz vor dem Sonnenunter-gang aufwachte, waren seine Schafe weg. Bis spät in die Nacht hinein suchte er sie vergeblich. Tränenüberströmt kam der Hirt ins Dorf und erzählte ganz aufgelöst, was ihm passiert war. Da waren die Bewohner erzürnt und trieben ihn aus dem Dorf. Und drohten ihm, er solle ohne Herde nicht zurückkommen. Der Hirt ging also der Nase nach. Und da fing es noch an, stark zu regnen. Der Arme wurde bis auf die Haut nass. Er fiel mehrmals hin und beschmutzte sich so sehr, dass er danach wie ein echter Teufelsjunge aussah. Der Hirt ging in den Wald und bemerkte im Dickicht auf einmal ein Feuer. Er schlich sich unbemerkt heran und sah eine Räuberbande, die an einem Lagerfeuer saß. Er sah auch, dass seine Schafe in der Nähe heil und unversehrt grasten. Die Angst schüttelte ihn, es blieb ihm aber nichts anderes übrig, als mit einer List seine Herde zurück zu gewinnen.

Der mutige Hirte richtete sich auf, kam aus dem Dunkel heraus und setzte sich neben das Feuer, so als wäre nichts gewesen. Die Räuber wunderten sich sehr über den unerwarteten Gast. Ihre Augen blitzten aber raubgierig und sie überlegten nur, wie sie ihren Vorteil von dem alten Mann ziehen könnten. Die Bösewichter hielten den Hirten für einen Alten. Kein Wunder, da der junge Hirte ja von kleinem Wuchs war. Außerdem kauerte er sich zusammen, nachdem er durchfroren war, und sein Gesicht legte sich von dem trockenen Schmutz in Falten. Die Räuber fingen also an, sich ihre fürchterlichen Geschichten zu erzählen. Sie prahlten voreinander, wie viele Menschen sie betrogen hatten. Dann kam der Hirt an die Reihe.

Womit konnte er denn die Bösewichter überraschen? Zum Glück ertastete er seine Flöte in der Tasche und sagte leise, indem er eine ältere Stimme nachmachte: „Ein Hirte aus dem Dorf, das hinter dem Wald liegt, gab mir diese Zauberflöte. Wenn man auf der Flöte spielt, wird man sofort wieder jung.“ Die Räuber lachten ihn aus und merkten nicht, dass sein Körper ganz trocken wurde und der Schmutz begann, von ihm abzufallen. Der Hirte fing an, die Flöte zu spielen und ging dabei mühsam tanzen. Und siehe da, der Schmutz fiel von seinen Beinen ab. Die alten Beine wurden jung und beweglich. Die Bösewichter wollten ihren Augen nicht trauen. Der Hirte spielte weiter und die alten und kraftlosen Arme wurden stark und biegsam. Nun war sein Gesicht wieder jung und frisch. Die erstaunten Räuber warfen sich auf den Jungen und nahmen ihm die Flöte weg. Sie schlugen einander und dudelten in die Flöte. Es passierte aber nichts. „Die Flöte erfüllt nur denjenigen einen Wunsch, die ein gutes Gewissen haben“, sagte der Hirt furchtlos. Die Bösewichter überlegten also ein wenig und entschieden sich, die Herde zurückzugeben. Natürlich dachten sie nur an die verbrecherischen Taten, die sie vorhatten, wenn sie wieder jung werden.

Der Junge verabschiedete sich von den Räubern und ging nach Hause. Alle Dorfbewohner strömten auf die Straße hinaus um zu sehen, wie der Hirt erzählte, wie die Räuber die Herde zurückgegeben hatten. Sie glaubten dem Jungen nicht und wollten ihn nur auslachen, da es noch nie vorgekommen war, dass ein Räuber das Raubgut zurückgegeben hatte. Alles war aber so geschehen, wie der mutige Hirt erzählt hatte. Und von da ab hatten alle Respekt: groß und klein.

Den Bösewichtern war es aber nicht gelungen, wieder jung zu werden: sie erinnerten sich immer wieder an ihre Sünden. Um das alles wieder gut zu machen, bräuchte man mehrere Jahre. Man kann sich doch nicht an alles erinnern. Die schlimmen Taten werden ja vergessen, die guten bleiben dafür ewig. Damit ist das Märchen zu Ende.

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